Es ist eine ungewöhnliche Allianz, die sich im türkischen Frühling und der Protestbewegung in Istanbul gebildet hat. Ein fast surreales Bild der Einheit, das selbst Einheimische überrascht. "Viele Fußballfans würden sich eher den Tod wünschen, als sich mit einer Fahne des Stadtrivalen zu zeigen", sagt Ismail Tipi und meint es so martialisch wie es klingt.
Seit Ende Mai protestieren Fans der Istanbuler Großclubs Seite an Seite mit den Gegnern des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen die geplante Bebauung des Gezi-Parks, der grünen Oase in Beyoglu. Sie nennen sich "Istanbul United". Für Tipi, den integrationspolitischen Sprecher der CDU im Hessischen Landtag und gebürtigen Türken, ist es ein Zeichen der Hoffnung.
"Das hat Symbolcharakter. Die türkische Jugend hat gesehen, dass in Fragen der Meinungsfreiheit sogar die verfeindeten Fußballfans Arm in Arm gehen", sagt Tipi: "Das Verständnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit eint die Menschen, weil es um die gemeinsame Zukunft geht."
Dafür versammeln sich die Fans trotz Jahrzehnten innig gelebter Feindschaft unter einem Banner: Der Wappenumriss von Besiktas dient als Hintergrund, aus dem Schriftzug von Galatasaray wächst das Eichenblatt von Fenerbahce. Im Gezi-Park und auf dem angrenzenden Taksim-Platz war es vor der Räumung überall zu sehen, aber auch jetzt taucht es auf.
Eine Hauptrolle spielt "arsi". Die mächtige Ultragruppierung von Besiktas war omnipräsent und führte das Wort bei den Protesten. "Sie verteilten Gasmasken, leisteten Erste Hilfe und riefen zu Besonnenheit auf", sagt Melis Alphan, Korrespondentin der Tageszeitung Hürriyet: "Sie bilden eine Brücke zwischen den Demonstranten und der Polizei."
Die erschreckenden Bilder vom Kampf um den Park gingen um die Welt: Demonstranten und Sicherheitskräfte stießen zusammen, die Stimmung war hitzig. Gummigeschosse und Tränengaskapseln flogen in Richtung der Protestler. Es gab Festnahmen und Verletzte. Wasserwerfer trieben die Protestanten auseinander. Dann löste sich die Spannung, es wurde gesungen und getanzt - bis zum nächsten Zusammenstoß.
Die Räumung des Parks und des Taksim-Platzes hat einiges verändert. Aber die Demonstrationen sind trotz des brutalen Vorgehens der Ordnungskräfte keineswegs vorbei. Mit stummen Protesten, dem Schlagen von Töpfen mit Kochlöffeln und passivem Widerstand wird jetzt demonstriert.
"Wenn sogar die Fußballfans sich in dieser Sache einig sind und einen Schulterschluss demonstrieren, muss auch Erdogan verstehen, wie ernst die Lage ist. Die Regierung in Ankara muss den Jugendlichen Gehör schenken. Alle sehen, dass man diesen Konflikt nicht mit Gewalt lösen kann", sagt Tipi.