Frankreichs tägliche Sportzeitung "L'Equipe" widmete nur die dritte Seite ihrer Tour-Berichterstattung dem Triumph Tony Martins im Zeitfahren am Mont-Saint-Michel: "Tony Martin le revenant". Der Rückkehrer, oder frei übersetzt, "die Wiederauferstehung", nachdem die 100. Tour de France durch seinen schweren Sturz und die schlimmen Verletzung schon nach dem ersten Tag beendet schien.
Christopher Froome im Gelben Trikot und seiner Niederlage galt die ganze Aufmerksamkeit. Und diese Beachtung für den Kampf um einen Platz auf dem Podium in Paris strebt auch der deutsche "Chrono"-Spezialist in Zukunft wieder an. "Es wäre schön, noch einmal neue Ufer zu erreichen", überlegt der in Cottbus geborene, in Eschborn bei Frankfurt aufgewachsene Wahlschweizer. "Ich würde es gerne noch einmal versuchen."
Wie bei seinem Tour-Debüt 2009, als er auf der vorletzten Etappe sensationell Zweiter auf dem legendären Mont Ventoux wurde und nur durch eine Ungeschicklichkeit in der Zielkurve dem Spanier Juan Manuel Garate den Sieg überlassen musste. Im Schlussklassement beendete Martin diese 96. Tour auf dem 36. Rang, 55:04 Minuten hinter dem Sieger Alberto Contador. Martin entschied sich daraufhin für eine neue Strategie, fortan nur noch ganz auf sein Talent im Kampf gegen die Uhr zu setzen.
Nur der Schweizer Weltmeister und Olympiasieger Fabian Cancellara war 2010 in beiden Tour-Zeitfahren schneller. 2011 aber siegte Martin und feierte nun in Abwesenheit Cancellaras seinen zweiten Tour-Etappensieg im Zeitfahren. Nach insgesamt 30 Siegen in seiner Disziplin, darunter zwei Weltmeistertitel - der dritte folgt sicherlich im September in Florenz - sucht der Spezialist eine neue Herausforderung.
Im besten Alter
Mit 28 Jahren ist Martin im besten Rennfahreralter, um etwa Froome nicht nur im "Time Trial" Paroli zu bieten. Also überlegt der Olympia-Zweite von London (hinter Wiggins, vor Froome), sich wieder dem Gesamtklassement, also auch der Kletterei im Hochgebirge, zu widmen. "Nur wie und wann, das weiß ich noch nicht."
Für die "neuen Ufer" müsste das Kraftpaket rund vier Kilo an Muskelmasse abnehmen. So die Einschätzung seines Team-Arztes Helge Riepenhof. Der Doktor glaubt: "Tony hat den Motor, um die Tour zu gewinnen."