Unaufgeregt bis heiter, so wirkten die Mercedes-Offiziellen in den vergangenen Wochen häufig, wenn es um die Reifen-Affäre ging. Als "Sturm im Champagner-Glas" bezeichnete Motorsportchef Toto Wolff die Aufregung um möglicherweise illegale Tests mit Pirelli - Aussagen und Mimik der Verantwortlichen transportierten stets: Wir sind uns keiner Schuld bewusst. Die Entscheidung fällt nun in Paris, am heutigen Donnerstag bittet das Internationale Tribunal des Weltverbandes FIA zur Anhörung.
Tests mit einem aktuellen Auto, wie jene von Pirelli und Mercedes Mitte Mai in Barcelona, sind während der Saison grundsätzlich verboten. Auch der Einheitshersteller, obwohl kein Wettbewerber, muss sich daher vor dem Sportgericht erklären.
Unklar ist noch, mit welcher Verteidigungsstrategie Mercedes im FIA-Hauptquartier antritt - denkbar ist einiges. "Wir haben unsere Unterlagen aufbereitet, mehr können wir nicht machen", sagte Wolff. Im Mittelpunkt, das drang in den vergangenen Wochen durch, könnte dabei eine Erlaubnis aus Kreisen der FIA stehen. Angeblich will Mercedes eine E-Mail mit der Erlaubnis von FIA-Renndirektor Charlie Whiting vorlegen.
Derartiges hatte Mercedes-Teamchef Ross Brawn schon im Rahmen des Großen Preises von Kanada angedeutet. "Wir hätten den Pirelli-Test nicht durchgeführt, wenn wir nicht gedacht hätten, dass wir es dürfen", sagte der Brite. Brawn wird als Einziger der Mercedes-Größen in Paris erscheinen.
Möglich ist zudem, dass Mercedes eine Grauzone im Reglement nutzen will. Artikel 22.1 des FIA-Reglements definiert nämlich verbotene Tests als Fahrten, "durchgeführt von einem Wettbewerber der Meisterschaft". Gelingt der Nachweis, dass Reifenhersteller Pirelli die Tests organisiert, ausgeführt und dabei lediglich Mercedes-Material und -Fahrer "verwendet" hat, könnte der Rennstall eine Hintertür gefunden haben.
Entscheiden muss das Internationale Tribunal, ein zwölfköpfiges Gremium, das 2010 ins Leben gerufen wurde. Die Reifen-Affäre ist der erste große Fall der Runde. Die verschiedensten Sanktionen sind grundsätzlich denkbar und reichen von Geldstrafen über Punktabzüge bis hin zu einer - unwahrscheinlichen - Disqualifikation.
Die Konkurrenz um Red Bull erwartet für die Silberpfeile eine empfindliche Strafe - und beim schwäbischen Autobauer könnte eine solche zum Brandbeschleuniger einer schwelenden Diskussion werden. Das teure Engagement in der Königsklasse wird kritisch gesehen, das machten vor wenigen Tagen erneut einflussreiche Investoren deutlich. "Mercedes muss raus aus der Formel 1", sagte Michael Muders, Manager bei Union Investment: "Daimler verkauft unserer Meinung nach kein einziges Auto mehr, weil Mercedes mit einem Team vertreten ist."